Hinterhof
Morgens
Ich trat nach draußen. Der Traum im Kopf wie ein Hall. Meine
Glieder waren schwer wie Blei. Ich fühlte mich gerädert. Meine
Augen waren von den Schlafresten fast zugeklebt. Ich starrte aus
ihnen heraus, als ob sie zu zwei kleinen Sehschlitzen mutiert wären.
Mich fröstelte und ich schlang die Arme um meinen Oberkörper.
Schnupperte. Die Luft war rein. Gewaschen durch das
Gewitter in der letzten Nacht. Nur die nachgedunkelten Backsteinfassaden
blickten traurig in den Sommermorgen.
In meiner Hand regte sich ein winzig kleiner Paradiesvogel. Ich
wollte ihn aufbewahren in einem kleinen Schatzkästchen und
steckte ihn in eine dunkle Schachtel. Er sollte nicht fortfliegen. Ich
hatte Angst, als ich den Vogel in der Dunkelheit versinken ließ
und den Deckel verschloß. Er würde ohne das heitere Sonnenlicht
sterben.
Ich steckte mir die Zigarette an. Mein Nachbar vom gegenüberliegenden
Haus hatte sich, am Fenster lehnend, auch eine angesteckt.
Wir winkten uns zu. Seit längerem hatte ich mich gefragt,
ob er ein Dichter sei. Mit seiner schwarzen Brille erinnerte er mich
an einen Existenzialisten, der stets zigaretterauchend und kaffeetrinkend
auf seine Schreibmaschine eindrosch. Oder ich stellte mir
vor mir vor, wie er an einem alten PC saß und seine Gedanken
schweifen ließ. Wenn ihm die Ideen ausgingen, lehnte er sich aus
dem Fenster, um eine zu rauchen. - Vielleicht war er nur ein Arbeitsloser?
Wer konnte es wissen? Ich verabschiedete mich von
ihm nach der Zigarette wie von einem alten Bekannten, indem ich
heftig mit dem rechten Arm winkte, trat zurück in die Küche und
schloß mit einem Ruck die Balkontür.
Mein Tee war schon schwarz, als ich den Beutel entfernte. Ich
frühstückte nie. Rauchte nur und trank schwarzen Tee.
Abends
Als ich erneut auf den Balkon trat, war der Himmel von Wolken
durchzogen. Von der Tiefe des Hofs hörte ich lautes Aufschlagen
eines Balls. Dazwischen Geschrei. Mein Nachbar war wieder da.
Er ahmte meine Körperhaltung nach und schlug die Arme über
der Brust zusammen. Ich schrie zu ihm hinüber: „Mir ist kalt!”
Daraufhin lachte er verständnisvoll. Er war ja da. War immer da,
wenn ich eine rauchen ging. Ich öffnete die Schachtel. Dem Vogel
waren die Beine entrissen worden. Vorsichtig nahm ich die kleinen
Drähtchen und steckte sie wieder dorthin, wo sie hingehörten. Es
kam einer Operation gleich. Auf dem Balkon links unterhalb von
meinem Gefährten goß ein dickbäuchiger Mann mit einer Wasserflasche
die Kräuter. Auf dem Balkon auf der anderen Seite hoppelten
Zwerghasen aus dem Kunstrasen. Welch Idyll! Den jungen
Mann, der beharrlich, selbst im Winter mit einem gelben Bademantel
bekleidet buchlesend auf dem Balkon rauchte, habe ich
schon lange nicht mehr gesehen. Seltsam.
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