Samstag, 1. April 2017

über das virtuelle sein

Draußen vor dem Fenster steht dieser leere weiße Stuhl. Er ist einsam. Seit sechs Monaten hat sich niemand darauf gesetzt. Er könnte etwas Farbe vertragen bevor der Frühling beginnt. Hin und wieder streichelt die bunte Plastiktischdecke seinen Arm. Er ist dankbar, aber schweigt dabei. Schließlich will er kein Aufsehen erregen. Er weiß, er wird ein bescheidenes Dasein fristen. Gartenmöbel halten draußen nicht lange. So wird er irgendwann in ein paar Jahren auf der Müllhalde mit anderen Gartenmöbeln landen. Dieses Sein wird nicht so fröhlich sein, denn zu diesem Zeitpunkt wird sich nicht einmal im Sommer jemand auf ihn setzen. Vielleicht darf er noch ein paar Monate auf dieser Müllhalde Stuhl sein. Bis der Müllzerkleinerer kommt und er Kleinholz wird.
Genau dies wird mit unseren virtuellen Einträgen im Internet passieren. Wir finden uns im Moment furchtbar wichtig. Jedoch haben wir nur eine Halbwertszeit von einigen Jahren. Feiern wir noch das virtuelle Leben, das wir haben für ein paar Minuten, bevor es im Äther verschwindet. Vielleicht sollten wir uns, jeder von uns, vorsorglich Urnen bauen für das Leben, das verschwindet, ein Leben lang über Jahre hinweg. Diese Urnen als Symbol für ein virtuelles Leben könnten religiöse Orte werden für all den Jammer über unser Leben, den wir nicht mehr einsehen können. Ich für meinen Teil werde heute damit anfangen. Ich werde Urnen über Urnen bauen und die auf dem Weg zu meiner Arbeit aufbauen. Jeden Morgen werde ich mich freuen, wenn wieder ein Baustein mehr steht. Am Ende wird wahrschleinlich mein Arbeitsplatz verschwunden sein, genauso wie das Kapital, das ich irgendwann einmal aufgebaut habe und ebenso mein momentanes virtuelles Sein. Wenigstens kann ich, ich alleine dann glücklich sein, dass ich auf meinem Weg noch etwas finde...

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