über das virtuelle sein
Draußen vor dem Fenster steht dieser
leere weiße Stuhl. Er ist einsam. Seit sechs Monaten hat sich niemand
darauf gesetzt. Er könnte etwas Farbe
vertragen bevor der Frühling beginnt. Hin und wieder streichelt die
bunte Plastiktischdecke seinen Arm. Er ist dankbar, aber schweigt dabei.
Schließlich will er kein Aufsehen erregen. Er weiß, er wird ein
bescheidenes Dasein fristen. Gartenmöbel halten draußen nicht lange. So
wird er irgendwann in ein paar Jahren auf der Müllhalde mit anderen
Gartenmöbeln landen. Dieses Sein wird nicht so fröhlich sein, denn zu
diesem Zeitpunkt wird sich nicht einmal im Sommer jemand auf ihn setzen.
Vielleicht darf er noch ein paar Monate auf dieser Müllhalde Stuhl
sein. Bis der Müllzerkleinerer kommt und er Kleinholz wird.
Genau
dies wird mit unseren virtuellen Einträgen im Internet passieren. Wir
finden uns im Moment furchtbar wichtig. Jedoch haben wir nur eine
Halbwertszeit von einigen Jahren. Feiern wir noch das virtuelle Leben,
das wir haben für ein paar Minuten, bevor es im Äther verschwindet.
Vielleicht sollten wir uns, jeder von uns, vorsorglich Urnen bauen für
das Leben, das verschwindet, ein Leben lang über Jahre hinweg. Diese
Urnen als Symbol für ein virtuelles Leben könnten religiöse Orte werden
für all den Jammer über unser Leben, den wir nicht mehr einsehen können.
Ich für meinen Teil werde heute damit anfangen. Ich werde Urnen über
Urnen bauen und die auf dem Weg zu meiner Arbeit aufbauen. Jeden Morgen
werde ich mich freuen, wenn wieder ein Baustein mehr steht. Am Ende wird
wahrschleinlich mein Arbeitsplatz verschwunden sein, genauso wie das
Kapital, das ich irgendwann einmal aufgebaut habe und ebenso mein
momentanes virtuelles Sein. Wenigstens kann ich, ich alleine dann
glücklich sein, dass ich auf meinem Weg noch etwas finde...
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